Timea DJERDJ

Pianistin, Chorleiterin und Kulturwissenschaftlerin

„Keep your culture. So many cultures just fade away.“

(Keith Jarrett während eines Konzertes am 18.10.2007 im Palast der Künste in Budapest)

Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk des Komponisten und Musikethnologen Béla Bartók (1881-1945) habe ich verstanden, dass Musik mehr sein kann als Ergriffensein von Klängen. Sie ist kulturelles Gedächtnis.

Der Prozess des kulturellen Verlöschens im multiethnischen Karpatenbecken war Anfang des 20. Jahrhunderts für Bartók offensichtlich. Er sammelte per pedes mehr als 10000 Bauernlieder und rettete sie mitsamt ihrer historischen Tiefenstruktur für die Nachwelt.

Auch heute ist das Artensterben nicht nur in der Natur zu beobachten. Sprachen, Dialekte, Gemeinschaften lösen sich auf. Nicht überall entsteht Neues. Es lohnt sich, kulturelle Samen zu säen.

„Lieber ein Leben mit Brüchen als eine heile Welt“

(Gerhard Maria Kirk: Ach, dieses Leben. Erzählungen von Ab-, Um- und Aufbrüchen. 2020)

Meine Eltern entstammen unterschiedlichen kulturellen Minderheiten in Mitteleuropa: mein Vater gehörte zur ungarischen Minderheit in Ex-Jugoslawien, meine Mutter entstammt der donauschwäbischen Sprach- und Kulturminderheit in Südungarn. Beide verließen das Wenige, das die Kommunisten ihnen übrig ließen, und nahmen dafür den Verlust ihrer (jeweils unterdrückten) Heimatkultur in Kauf.

Ich hatte das große Glück, dass viele meine musikalische Begabung sowie meine kulturwissenschaftlichen Bestrebungen förderten: meine Eltern, mein erster Klavierlehrer Ulrich Sakowski in Trossingen, Sontraud Speidel an der Musikhochschule in Karlsruhe sowie ebenda Carmen Piazzini, Fanny Solter und Michael Uhde; Dieter Binder an der Andrássy Universität in Budapest. Außerdem wurde ich u.a. von der Deutschen Studienstiftung, dem Österreichisch-Akademischen Austauschdienst sowie einigen anderen Stiftungen unterstützt.

Geprägt haben mich insbesondere auch Begegnungen mit herausragenden lebenden Künstlern und Schriftstellern, v.a. György Kurtág (Kammermusikkurse), Peter Sloterdijk (Philosophischer Studentenzirkel an der HfG Karlsruhe), Péter Esterházy (“Harmonia Caelestis”) und Helmut Lethen (s. Klangzeitort Okt/Nov 2014). 

Seit Beginn meines Musikstudiums fand ich, an jeweils verschiedenen Stationen meiner Biographie, künstlerische Weggefährten: u.a. Daniel Koschitzki, Katariina Záborszky, Ágnes Herczku und Florian Bischof. Gemeinsam mit ihnen führte mein Weg in erhabene Konzerthallen (u.a. Wigmore Hall London, Palast der Künste Budapest) und in ferne Länder (Brasilien, Estland, Grönland, Indien).

Nach der Geburt meiner Tochter Lilien Tara (2013) kehrte ich Budapest (2004-2012), einem Doktorstudium an der Andrássy Universität und der fabelhaften osteuropäischen Volksmusik den Rücken, um mit prall gefülltem, kulturellem Reiserucksack mein eigenes Wirken zu wagen.

Seit 2018 wohnen wir in St. Peter im Hochschwarzwald. Unser Team hat sich mit meinem lieben Partner Jorge José Dzib und Söhnchen Jordi (2020) vervollständigt.

Nach ein paar Jahren auf eher steinigem Gelände habe ich nun den Auftrag zwei traditionsreiche Männerchöre musikalisch-künstlerisch zu leiten. Wenige Monate nach Ausbruch der Pandemie durfte ich außerdem die Gründung eines Kinderchores in St. Peter initiieren.

„Das ursprüngliche Wesen des Menschen kann in der Realität nicht zutage treten. Die Kunst versetzt den Menschen in eine Welt der Freiheit und enthüllt dadurch die Möglichkeiten seiner Taten. […] Je enger die Gesetze der Tradition, desto freier die Explosionen der Improvisation.“

(Jurij M. Lotman, Kultur und Explosion, 2010)